Ich versuche mich an Details zu erinnern, die gestern, vorgestern oder dem Tag davor waren. Aber irgendwie verwischen sich die Erinnerungen mit denen vom siebten Tag, dem elften Tag, oder war es gar der 19te…?!
Innerhalb weniger Wochen sind wir aus dem kalten hamburgischen Herbst entlang dem schwülen Westafrika, über den heißen Äquator hinweg, in den aufziehenden Frühling der südlichen Halbkugel geschippert.
Klar – man kennt solche Veränderung vom Flieger. Wo es allerdings Ruckzuck geht. Im Zeitraffer sozusagen. Diese Schiffsreise ist eher ein (mehr oder weniger) bewusstes Wahrnehmen eines langsamen Veränderungsprozesses. In Zeitlupe eben. Dazu wird alle paar Tage die Uhr 1 Stunde zurückgestellt. Insgesamt schon viermal.
Nach Regenschock und kalten Winden in Rio scheint jetzt wieder die Sonne.
Mit einem Abstand von rund 100 km folgen wir der brasilianischen Küste, dann der Küste Uruguays.
Mehrfach stoppt die Grande Brasile für mehrere Stunden auf offenem Meer. Wegen der schon erwähnten Wartezeiten für den Einlass in den argentinischen Hafen Zarate schlagen wir so die Zeit tot. Die Mannschaft befreit das Deck mit höllisch lärmenden Maschinen vom Rost. Andere Crew-Mitglieder lassen sich an Seilen teils abenteuerlich die Bordwand herab und streichen. Wir fahren mit dem Chief-Officer per Fahrstuhl vom Oberdeck zum Deck 6 zu unseren Autos und starten sie erfolgreich (erstmals seit Reisebeginn). Erneut setzt sich das Schiff in Bewegung.
Wir kommen der Küste Uruguays so nah, dass das Mobiltelefon Empfang hat.
25. Tag an Bord:
Heute Nacht wurde erneut der Schiffsmotor gestoppt. Montevideo ist nur noch 70 km entfernt. Dennoch wird unsere Reise dorthin noch sieben Tage dauern. Wegen der vorgegebenen Wartezeiten und der Entladung in Zarate …
Eigentlich haben wir jetzt an Bord schon alles X – mal getan. Die alten Zeitungen von zuhause sind alle bis zur letzten Zeile gelesen. Gleiches gilt auch für die mitgenommenen National Geographic Magazine.
Parkplatz der Frachtschiffe im Atlantik
26. bis 28. Tag an Bord:
Seit knapp drei Tagen liegen wir 40 Kilometer vor der Küste Uruguays auf derselben Stelle im Meer. Motor gestoppt. 15 weitere Frachter machen es mit jeweils ein, zwei Kilometern Abstand genauso wie wir …
Nach schweren kurzen Regenfällen ist das Wetter jetzt zwar kühl, aber sonnig und klar. Die Mannschaft macht Feuerschutzübungen, testweise werden die Rettungsboote abgesenkt. Für uns ist das spannend … auf jeden Fall unterhaltsam. Um 19:00 Uhr heute Abend soll der Schiffsmotor angeworfen werden. Dann geht`s (zunächst vorbei an Montevideo) rein in den Rio de la Plata in Richtung Zarate, dem größten Containerhafen Argentiniens … bevor für uns die letzte Etappe nach Montevideo beginnt.
Der Rio de la Plata in Sicht
29. Tag an Bord:
Um 5:30 beginnt der Schiffsmotor zu dröhnen. Wir steuern auf die Mündung des Rio de la Plata zu. Um 6:45 sehen wir in der Ferne die Skyline von Montevideo. Ein Lotsenboot nähert sich, zwei Lotsen kommen an Bord, die Flagge Uruguays wird aufgezogen, später die Argentiniens. Denn in gewisser Weise beginnt jetzt ein Zickzack, mal in uruguayischen Gewässern, dann in argentinischen. Auf einmal wird das Wasser lehmbraun. Jerome, der 3. Offizier, sagt, das sei der Rio de la Plata, der seine ungeheuren braunen Wassermassen schon sehr bald aus zwei riesigen Strömen, dem Rio Uruguay und dem Rio Paraná, bezieht. Die gewaltige Bucht des Rio de la Plata ist in seiner schmalen Fahrrinne nur neun Meter tief. Deswegen die zwei Lotsen, und deswegen die extrem geringe Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegen.
Stahlblauer Himmel mit angenehmen Temperaturen von knapp 25°C. Gemeinsam mit unseren schweizer Reisefreunden stoßen wir darauf mit einem Bierchen an.
Gegen 18:00 gehen wir auf der Höhe von Buenos Aires (das wir als winzige Hochhaussilhouette in der Ferne sehen) vor Anker. Berauschend die Lichter der Stadt in der Ferne zu dem glutroten Leuchten des Sonnenuntergangs.
30. Tag an Bord
Etwa um 6:00 morgens wird der Anker eingeholt. Nördlich von Buenos Aires teilt sich der Rio de la Plata in den Rio Uruguay zur Rechten und den Rio Paraná zur Linken. Letzterer ist schmal. Dicht an den Ufern zugewachsen. Ihm folgen wir mit unserem knapp 220 Meter langen Schiff. Es ist wie eine Fahrt durch den Urwald. Berauschend schön. Dazu brillant klares Wetter. Mittags ist der große Containerhafen von Zarate erreicht. Das Übliche folgt: Die Lotsenschlepper drehen das riesige Schiff um (also in Fahrtrichtung flussabwärts), dann warten, dass die Offiziellen an Bord kommen. Bald danach das Herunterlassen der Laderampe. Es dauert insgesamt drei Stunden, bis die ersten Fahrzeuge von Bord in den Hafen rollen.
Zwei bis drei Tage wird der Aufenthalt dauern. So genau weiß man das noch nicht. Dann beginnt unsere letzte Etappe nach Montevideo.