Wir sitzen vor Thunder und lassen – bei einem Tropfen Rotwein – die letzten Tage auf der chilenischen Gebirgsstraße, der Carretera Austral, Revue passieren. Das Verblüffende was uns dabei durch den Kopf geht:
Während die Autos, Wohnmobile und Expeditionsfahrzeuge der hier getroffenen europäischen Individualreisenden immer größer (auch unser Thunder nicht ganz ausgenommen), raffiniert mit teuerster Technik ausgerüstet und mit 15 Tonnen oder mehr auf 3 Achsen (auch die haben wir gesehen!) immer gigantischer werden, so werden uns die nächsten Tage so viele, vor allem junge Leute, auf Fahrrädern, wandernd oder als Hitchhiker begegnen, wie ich sie in dieser Anzahl nie zuvor gesehen habe.
Und nie zuvor haben wir in so kurzer Zeit so viele Anhalter mitgenommen wie hier.
Julio und Paula zum Beispiel, zwei argentinische Straßenkünstler. Ich habe seit sehr langer Zeit nicht mehr eine solche vitale, lebendige, ansteckende Reisefreude und Aufbruchsstimmung erlebt wie bei diesen, zumeist jungen, Menschen.
Doch der Reihe nach:
Wer so wie wir unterwegs ist, folgt oft Tipps anderer Traveller, verwirft frühere Pläne und entscheidet an irgendwelchen Straßenkreuzungen intuitiv, ob er nach links oder nach rechts fahren soll. Diese spontane „Entdeckerlust“ bemerke ich bei mir auf der Carretera Austral.
Zum Beispiel im Ort Puerto Rio Tranquillo, wo wir „mal eben“ ins Valle des Exploradores abbiegen. Ein Tal, das noch nicht so lange erschlossen ist. Doch nach mehr als 70 km ist Schluss; die letzte Brücke hier würde Thunder keinesfalls mehr tragen …
Also übernachten wir an einem Fluss, an dessen Ufern wilde rhododendronartige Pflanzen stehen.
Zurück auf der Carretera Austral:
In großen Abschnitten ist die grobsteinige Oberfläche extrem brutal für Reifen, Achsen und Fahrer. Aber ich will nicht klagen, denke stattdessen an die Dutzende zumeist junger, schwer beladener Radfahrer, die mit Mundschutz und Nerven wie Drahtseile dem Staub der Straße trotzen.
Diesen Ort Villa Santa Lucia hatte vor knapp zwei Monaten eine Schlammlawine teilweise zerstört. Einwohner wurden getötet. Die Straßen waren nach dieser für die Menschen so schlimmen Katastrophe noch immer völlig unbefahrbar. Also kehren wir um, holpern über eine steinige Piste, gesäumt von riesigen Nalcas (wie riesen Rhabarber mit 1,5 Meter breiten Blättern) zur Küste, wo wir eine Fähre nehmen.
Sie bringt uns in großartiger 5-stündiger Fahrt zum Küstenort Chaitén. Auch er ein Opfer der Naturgewalt, denn vor zehn Jahren zerstörte der gleichnamige Vulkan ihn. Die Menschen und der Ort erholten sich.
Juliana und ich besteigen Volcán Chaitén: steil, schweißtreibend. Tote Baumriesen erinnern an die Urgewalt der Eruption. Aber millionenfach blühen schon wieder die hier heimischen Fuchsien.
Weiterfahrt gen Norden:
Da die Carretera Australien nicht durchgängig ist, müssen wir erneut mehrere Fähren nehmen:
Berauschend schöne Fahrten durch umwerfende Fjordlandschaften bei tollstem Wetter folgen. Dazu ein paar Delfine. Toll! In Puerto Montt endet die chilenische Abenteuerstraße, die Carrera Austral. Hier beginnt das chilenische Seengebiet… Und im Januar / Februar, während der Sommerferien, ist hier der Bär los!!!
Innerhalb von Stunden treffen wir hier mehr Touristen als während der letzten drei Monate (von Torres del Paine einmal abgesehen). Wir fliehen zum Bilderbuch-Vulkan Osorno.
Als abends die Sonne untergeht, sind wir fast die einzigen in 1200 m Höhe. Wir entschließen uns, wegen der Touristenwoge, die uns ziemlich unvorbereitet traf, über den Kamm der Anden rüber auf die argentinische Seite zu fahren.
Alle Fotos: Foto und Copyright Dieter Kreutzkamp